Erschließungsbeiträge sind oftmals für betroffene Grundstücksanlieger zu teuer und kaum zu tragen. Dabei kommt es immer wieder vor, dass die Städte und Gemeinden ihre Straßenausbauten bereits in früheren Jahrzehnten vorgenommen hatten, damals allerdings noch einen anderen Standard und anderen Bauprogrammen. Dieses betrifft Straßenbauten in den 1950er-, 1960er-, 1970er-Jahren. Während die Straßenbauten in den 1950er-Jahren noch ganz anderen gesetzlichen Bedingungen unterlagen bzw. überhaupt nicht geregelt waren, galt dann ab 1960 das sogenannte Bundesbaugesetz, in den 90er-Jahren dann ersetzt durch das heutige Baugesetzbuch. Mit Fortentwicklung der kommunalen Bautätigkeiten, Schaffung von weiteren Wohngebieten und Verbesserung der Erschließungsstraßen gingen die Behörden dann in den 2010er-Jahren vermehrt dazu über, auch ältere vorhandene Straßen, welche inzwischen auch teilweise marode geworden waren, nach heutigen Standards komplett neu auszubauen. Das geht sogar so weit, dass der Straßenunterbau (Schotter), die entsprechenden Fahrbahndecken sowie Regenrinnen und Beleuchtungen komplett neu errichtet werden. Dabei werden dann sämtliche jetzt heute nach neuen Standards entstandenen Baukosten nach Baugesetzbuch (BauGB) zu 90 % auf die Grundstücksanlieger, welche diese Straßen nutzen, umgelegt. Dieses kann in Einzelfällen zu Beiträgen in einer Größenordnung von 30.000,00 € bis 60.000,00 € (in Einzelfällen sogar darüber hinaus) führen.
Geht einem betroffenen Grundstücksanlieger ein solcher Beitragsbescheid zu, kann sich das in Einzelfällen durchaus existenzbedrohend darstellen. Manche Haus- und Grundstücksbesitzer (vor allem im Rentenalter) sehen sich dann oftmals gezwungen, ihr Grundstück zu veräußern. Sowohl die Behörden als auch viele Bürger übersehen, dass die staatlichen Organe nur dann berechtigt sind, nach dem BauGB Erschließungsbeiträge (90 %) zu berechnen, wenn die betreffende Erschließungsstraße „erstmalig“ ausgebaut wird. Ein nachfolgender Verbesserungsausbau unterliegt grundsätzlich nicht mehr den gesetzlichen Bestimmungen des BauGB (sondern allenfalls dem Kommunalabgabengesetz KAG, wo aber wesentlich geringere Beiträge anfallen können).
In diesen Bereichen wird oftmals nicht ausreichend seitens der Behörden differenziert. Insbesondere herrschte auch eine gewisse Rechtsunsicherheit, ob früher einmal begonnene Straßenausbaumaßnahmen, von denen die Kommune glaubt, dass sie ohnehin noch nicht endgültig ausgebaut waren und somit einem Endausbau noch zuzuführen seien, irgendwann hinsichtlich der Beitragserhebung durch die Kommune einer Verjährung unterliegen? Diese Frage konnte quasi bis 2021 nicht befriedigend beantwortet werden. Demnach musste sich das Bundesverfassungsgericht letztendlich mit dieser möglichen Verjährungsfrage beschäftigen. Im November 2021 kam es dann zu einem grundlegenden Urteil dahingehend, dass wenn mindestens 30 Jahre seit den früheren Ausbaumaßnahmen vergangen waren, heute die Behörden die gleichen Straßen nicht mehr mit entsprechender Beitragspflicht gegenüber den Grundstücksanliegern ausbauen dürfen. Dabei gilt für diejenigen Straßen, welche vor 30 Jahren (oder länger) ohnehin schon komplett und vollständig fertig ausgebaut waren, nach dem Prinzip der „Ersterschließung“ heute nicht mehr beitragsfähig sind. Zum anderen gilt das Prinzip, dass auch diejenigen Straßen, welche von mehr als 30 Jahren eventuell noch nicht ganz vollständig ausgebaut waren, auch bei heutigem Endausbau nicht mehr nach der 90 %-Regelung des BauGB kostenpflichtig sind.
Ferner hat der Gesetzgeber eine neue Verjährungsregelung ab dem 01.06.2022 dahingehend geschaffen, dass neu auszubauende (oder zu verbessernde) Erschließungsstraßen, wo die Ausbaumaßnahmen gemäß dem erstmaligen Bauprogramm überhaupt erst begonnen wurden, nach 10 Jahren nicht mehr beitragspflichtig gestellt werden dürfen. Diese neue Regelung hat ihren Hintergrund darin, dass manchmal Behörden wegen personeller Unterbesetzung oder sonstiger Überbelastung jahrelang die Errechnung der Erschließungsbeiträge bzw. Straßenausbaukosten liegen lassen haben und dann später, als sich die behördeninternen Bedingungen verbesserten, dazu übergegangen sind, die letzten Einzelbaumaßnahmen (z.B. Bürgersteige) abzuschließen, um damit ihrer Auffassung nach überhaupt erst die Beitragspflicht entstehen zu lassen. Aus diesem Grunde waren viele Behörden auch dazu übergegangen, im Schnelldurchlauf bis Ende Mai 2022 noch Beitragsbescheide zu erstellen und diese den jeweiligen Wohnungseigentümern zuzustellen.
Alles in allem hat sich also die gesetzliche Situation hinsichtlich alter Erschließungsanlagen und auch aktuell bezüglich verzögert berechneter Straßenausbaumaßnahmen seit dem Jahre 2022 grundlegend geändert.
Hiddenhausen, den 27.02.2023
gezeichnet Rechtsanwalt Eckard Gläsker